Sonntag, 16. Mai 2021

Lesezeit

Ich habe schon derart viele Krimiserien für den Kindle abonniert, dass ich allmählich den Überblick verliere.

Catalina Ferrera der Name der Autorin, wie so oft ein Pseudonym, kam mir bekannt vor, aber worum ging es da eigentlich? Als ich die Namen der Ermittler Karl Lindberg und Alex Diaz las, war ich aber sofort im Bilde, und machte mich gleich ans Lesen. Der Barcelona-Krimi „Spanisches Blutgeld“ war dann auch wieder gute Lektüre. Die Verbrechen in dieser Serie sind ziemlich bizarr, und das war es auch dieses Mal. Das Ermittlerteam um die beiden Schwager (Lindberg ist mit einer Spanierin verheiratet) ist sympathisch: man hat es mit Charakteren und nicht mit Stereotypen zu tun. Es herrscht eine freundschaftliche Atmosphäre: die Polizisten und die Gerichtsmedizinerin Chi gehören mehr und mehr zur Familie.

Sehr gefreut habe ich mich auf „Die Richterin und das Ritual des Todes“ von Liliane Fontaine. Hauptperson ist die noch relativ junge Untersuchungsrichterin Mathilde de Boncourt, die auf dem Weingut ihres Großvaters aufgewachsen ist. Ihr zur Seite stehen die Polizisten Rachid Bouraada und Felix Tourain. Ebenfalls involviert ist der Reiseschriftsteller Martin Endress aus Deutschland, der in Südfrankreich ein neues Leben begonnen hat, Mathildes Freund. Sehr gut gefiel mir bisher die Leichtigkeit, die abseits der Kriminalfälle zu spüren war: da kam sehr viel Lebensfreude und Genuss mit, und das Ganze wirkte für mich bisher wenig aufgesetzt. Vom 4. Teil war ich aber etwas enttäuscht. An einem Eliteinternat kommt es zu einer Mordserie. Wo das Motiv zu suchen ist, ahnt man relativ schnell, aber die Auflösung war für mein Empfinden zu sehr konstruiert und unwahrscheinlich. Die kulturellen Exkurse in die Region wirken eher störend: erst ganz zum Schluss führte eine Exkursion dann auch zu einer Spur. Schade – das hätte eine meiner Lieblingsserien werden können. Mal sehen, wie es weitergeht.

Gut zu lesen war der siebente Teil der Leon-Ritter-Reihe „Verhängnisvolles Lavandou“ von Remy Eyssen. Nach ungewöhnlich starken Regenfällen wird am Strand eine in eine Plastikplane verschnürte Leiche gefunden. Es handelt sich um einen kleinen Jungen, der misshandelt und kaltblütig ermordet wurde. Der Junge war geschminkt und in ein Mädchenkleid gesteckt worden, und zudem ein Flüchtlingskind. Das Team um Capitaine Isabelle Morell übernimmt die Ermittlungen, und für Rechtsmediziner Leon Ritter steht sofort fest: es war die Tat eines Serientäters. Die leicht verwirrte Paulette berichtet von schrecklichen Dingen, die sich in den Hügeln ereignen. Und es kommt zu einer Mordserie, der mehrere angesehene, gut situierte Geschäftsleute zum Opfer fallen. Wie immer spannend, brisant und schon beinahe ein Psychothriller. Mein Verdacht, wer der Täter sein könnte, hat sich bestätigt, aber ich war mir nicht sicher. Spannung bis zum Schluss – so muss es sein.

Vor ein paar Tagen habe ich tatsächlich versucht, mir eine „Kommissar-Dupin“-Verfilmung im Fernsehen anzusehen. Ich war ja durch die schlechten Kritiken längst gewarnt, und außerdem bin ich überzeugt davon, dass die einzigartige Atmosphäre der Bücher in keinem Film nur annähernd erreicht werden kann. Somit ist Enttäuschung vorprogrammiert. Trotzdem hätte das Ergebnis besser ausfallen können. Kurzum: ich habe nach einer halben Stunde ausgeschaltet. Man kann es sich wirklich sparen, mitanzusehen, wie die ARD die Dupin-Krimis verwurstet. Dafür braucht es schon ein hohes Maß an Lieblosigkeit. „Bretonische Spezialitäten“ ist ein herausragender Krimi und den sollte man mit allen Sinnen lesen – Punkt. Enttäuschend fand ich, dass gerade das, was diese Folge so besonders macht, im Film völlig untergeht, nämlich der Grund, weshalb sich Dupin überhaupt in Saint-Malo aufhält, das Beziehungsgeflecht zwischen den Ermittlern, die sich dort auf einer Weiterbildungsveranstaltung befinden – Dupin hasst sowas – und ihren Vorgesetzten. Es kommt zu einer wirklich gelungenen Zusammenarbeit, obwohl Dupin kein Teamplayer ist. Der neueste Krimi der Serie von Jean-Luc Bannalec ist für Mitte Juni angekündigt, ich freue mich schon sehr aufs Lesen.

Es gibt aber auch Bücher, für die ich am liebsten alles liegen lassen würde. Und so eins ist „Schweigendes Les Baux“ von Cay Rademacher aus der Krimiserie um Capitaine Roger Blanc. Blanc war Korruptionsermittler in Paris und wurde auf Bestreben eines mächtigen Staatssekretärs nach Gadet in der Provence strafversetzt. Roger Blanc trägt meist Jeans, T-Shirt und eventuell Lederjacke, nicht die Uniform der Gendarmerie mit Képi, weil er sich darin wie ein Statist aus Louis de Funés-Filmen vorkommen würde.

Ich kann ja nicht allgemein festlegen, was einen herausragenden Krimi ausmacht, ich schreibe nur, was mir besonders gefällt. Viele Krimis mit Lokalkolorit sind nicht nur spannend, sondern haben auch eine Menge mit der Region und deren Besonderheiten zu tun. Damit die Leser neben Nervenkitzel aber auch Urlaubsfeeling erleben, ist das Privatleben der Ermittler oft sehr idyllisch. Da entwickelt sich die perfekte Beziehung zwischen einem gutaussehenden wie scharfsinnigen Ermittler mit seiner Traumfrau. Nach Feierabend gibt es jede Menge gutes Essen und guten Wein, was der Figur von Traummann und Traumfrau nichts anhaben kann, ab und kann kommen ebenso perfekte und durch und durch liebenswürdige Freunde hinzu. Ein Paradies, wenn da nicht ab und an auch Verbrechen geschähen. In der Serie von Cay Rademacher ist alles etwas anders. Blanc steht, als er in Gadet anfängt, vor den Trümmern seines Lebens. Seine Frau hat ihn verlassen, die Kinder halten auch nicht viel von seinen Versuchen, Kontakt aufzunehmen – schließlich hat er jahrelang für seinen Beruf gelebt und die Familie hintenan gestellt.

Seine beiden Kollegen sind auch eher Außenseiter: Marius Tonon ist Alkoholiker und hat irgendwann mal einen Fehler gemacht, seitdem möchte niemand mehr mit ihm zusammenarbeiten. In „Schweigendes Les Baux“ hat der die Sucht überwunden. Die Computerspezialistin Fabienne Soulliard ist lesbisch und ihre Familie hat deswegen den Kontakt abgebrochen. Die drei werden aber ein gutes Team. Ich erfreue mich immer wieder an den humorvollen Dialogen, teilweise ist es Galgenhumor. Alle drei haben ihr Päckchen zu tragen, und deswegen wirken sie menschlich und nicht konstruiert.

Die Fälle sind durchweg brisant und hochaktuell. Blanc ist schließlich bekannt dafür, mächtigen Leuten auf die Füße zu treten, und er hat ein Gespür dafür, wenn etwas faul ist. Auch wenn ich manchmal einen konkreten Verdacht habe, wer der Täter sein könnte, und dieser sich manchmal auch bestätigt – alle Geschichten sind verschieden, es gibt kein einfaches Muster, das alle Bücher durchzieht. Es sind durchweg komplexe Handlungen mit vielen Möglichkeiten der Entwicklung und Spuren, die sich erst am Ende des Buches in einem finalen Showdown auflösen. Für mich ist das Unterhaltung, die besser nicht sein kann.

Das neue Buch erzählt eine Geschichte um Verstrickungen, Vergehen und Verbrechen. Die Handlung setzt im Februar 2020 ein und Thema am Rande ist die beginnende Pandemie. Die ersten beunruhigenden Nachrichten aus China, Verharmlosung und Verdrängung, die Fehleinschätzung eines Arztes, aber auch schon deutliche Ahnungen, wie die Krankheit die Welt verändern wird. Dieser aktuelle Bezug lässt die Geschichte so authentisch wirken, ebenso wie die lokalen Besonderheiten und Sehenswürdigkeiten, die in die Handlung perfekt eingebunden sind. Dazu gibt es Schilderungen der Landschaft, des Lichtes, der Gerüche und Gefühle, die nahe gehen, weil alles gut beobachtet wurde. Die Bücher sind auch stilistisch ein Genuss. Der achte Fall für Capitaine Roger Blanc ist mein Krimi-Tipp des Jahres. Ich hoffe, das Buch ist nicht das letzte dieser Reihe.

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