Sonntag, 6. Februar 2022

Gelesen: Interessantes, ansonsten Saure-Gurken-Zeit

Im Spätherbst vergangenen Jahres habe mal wieder begonnen, etwas außerhalb des Krimi-Genres zu lesen. Von Juli Zeh hatte ich bisher nur die beiden Romane gelesen, die auf Lanzarote spielen (und vor allem, um über Lanzarote zu lesen): „Nullzeit“, und „Neujahr“. Beide fand ich hervorragend. Daraufhin habe ich mich nicht an „Unterleuten“ herangetraut, sondern an „Über Menschen“, erst im vorigen Jahr erschienen. Davon war ich so begeistert, dass ich dann doch „Unterleuten“ lesen musste, das im gleichen Milieu handelt, und mich permanent darüber wunderte, warum ich mich nicht herangetraut hatte. „Unterleuten“ ist einfach der Hammer! Ich mag den Stil von Juli Zeh – ihre Bücher sind gut lesbar und frei von Sprachexperimenten. Außerdem mag ich sie wegen ihrer Klugheit.

Es folgten zwei Sachbücher. Ich liebe Sachbücher, weil ich immer weiß, woran ich bin. „Der Salzpfad“ von Raynor Winn ist kein gewöhnlicher Reisebericht. Es ist die Erzählung davon, dass ein Ehepaar auf Grund eines richterlichen Irrtums sein Zuhause verliert, obdachlos wird und sich auf eine Wanderung begibt, um sich einen Rest Autonomie zu bewahren. Obendrein erhält Moth, der Mann von Raynor, eine schlimme Diagnose. Die Geschichte ist hervorragend erzählt und absolut lesenswert. „Wilde Stille“ ist die Fortsetzung, in der Raynor aus ihrem Leben erzählt und davon, was folgt, nachdem sie und Moth den South West Coast Path gegangen sind. Auch sehr lesenswert!

Und nun kamen drei Ausnahme-Krimis an die Reihe: „Achtsam morden…“ von Karsten Dusse. Im ersten Band steckt der Rechtsanwalt Björn Diemel in einer Ehekrise. Seine Frau stellt ihm ein Ultimatum, dass er an sich arbeiten soll, um sein Leben und seine Stimmungsschwankungen in Griff zu bekommen. Björn, dem seine Familie, vor allem die kleine Tochter, wichtig ist, geht zu einem Achtsamkeits-Coach namens Joschka Breitner, dessen Leitsätze ihn fortan im Alltag begleiten. Sein Mandant, auf dem seine berufliche Existenz beruht, ist ein Gangster der übelsten Sorte. Die Arbeit mit ihm hat Björn längst desillusioniert. Als dieser ihm ein Wochenende mit seiner Tochter vermasselt und obendrein zur Gefahr für sie wird, wendet Björn die Achtsamkeitsregeln mit aller Konsequenz an und bringt ihn um. Die Folge davon ist, dass er die Leiche des Mandanten beseitigen und dessen Verbrecher-Gang selbst führen muss, was ihm nicht schwer fällt, da er als Anwalt ohnehin mit drin steckt. Highlight des Buches ist für mich der Moment, als Björn seine Gangster-Officer zum ersten Meeting in einen Kindergarten einberuft, den er zuvor als neues geschäftliches Standbein übernommen hat. Wie die Verbrecher dort auf bunten Stühlen sitzen, mit Begeisterung Fischstäbchen und Ringnudeln essen und dabei von ihrer Kindheit schwärmen, das ist einfach zu schön.

Der brachiale schwarze Humor im ersten Band war wohl manchen Lesern zu heftig. Der Folgeband „Das Kind in mir will achtsam morden“ ist ein wenig anders. Björn Diemel und sein Stellvertreter Sascha wollen nicht mehr morden. Doch das ist schwieriger als gedacht. Im Urlaub hat Björn eine Auseinandersetzung mit einem Kellner auf einer Berghütte, der ihn und seine Familie schlecht bedient. Der Streich, den er ihm aus Rache dafür spielt, hat schwerwiegende Folgen: der Kellner stürzt ins Tal und stirbt. Und ein weiteres Problem tut sich auf. Der Chef eines Konkurrenzclans, den Björn und Sascha nicht umgebracht, sondern im Keller versteckt haben, ist plötzlich verschwunden. Psychologisches Thema des Buches ist das innere Kind. Björn hat die Bekanntschaft seines inneren Kindes gemacht und muss den Umgang mit ihm erlernen. Dabei hilft ihm wieder sein Achtsamkeitscoach Joschka Breitner. Die Achtsamkeitsregeln werden durchweg gut vermittelt und können angewendet werden. Der Humor von Band 2 ist meist subtiler, aber es gibt auch so richtige Klischee-Wohlfühlszenen, wo die Mehrheit der Leser jubeln und Beifall klatschen kann. Die Assi-Gang, die jede Nacht auf einem Kinderspielplatz randaliert, wird von Björns Gangster-Security auseinandergenommen, nachdem Polizei und Ordnungsamt längst aufgegeben haben. Herrlich sind die Auslassungen über das bigotte Verhalten von übergriffigen Öko-Missionaren wie der Kindergartenpraktikantin, die Fruchtquetschies verbieten will, selbst aber auf Kreuzfahrtschiffen Urlaub macht. Vom gleichen Schlag war übrigens der verunglückte Berghüttenkellner. Auch wer von Leih-Elektrorollern genervt ist, kommt auf seine Kosten. Man ahnt es: auch in Band zwei kommt es zu Todesfällen, obwohl Björn nicht eigenhändig zur Tat schreitet.

Nun habe ich Band 3 „Achtsam Morden am Rande der Welt“ zu lesen begonnen. Björn Diemel hat seinen fünfundvierzigsten Geburtstag mit den Gangster-Officern gefeiert und es kam, man ahnt es, zu einem Todesfall. Er konsultiert seinen Achtsamkeitscoach und muss sein bisheriges Leben reflektieren. Joschka Breitner rät ihm, auf dem Jakobsweg zu pilgern. Allein schon die Beschreibung des Lebens des heiligen Jakobus und dessen Nachwirkungen ist ein wahres Highlight, man möchte sich vor Lachen im Sessel oder auf dem Sofa wälzen. Ich freue mich auf die nächsten Seiten – und vielleicht gibt es ja irgendwann Teil 4? Da ansonsten wenig Lesenswertes in Sicht ist, warte ich auf Neuerscheinungen in meinen Lieblingskrimi-Serien: unter anderem werden Capitaine Roger Blanc und Kommissar Dupin weiter ermitteln, worauf ich mich besonders freue.

2 Kommentare:

Magdas Kram hat gesagt…

Also das ist schon ein schöner Zufall. Ich habe beide Bücher von Juli Zeh gelesen - bzw. als Hörbuch genossen - und fand sie beide richtig gut. Spannende Geschichten und menschenfreundlich sind sie auch. Und - auch das ist ja irre - "Der Salzpfad" habe ich auch gerade gelesen. Mensch war das klasse. So hoffnungsfroh die ganze Geschichte. Die Krimis kenne ich nicht. Aber einen kann ich ja mal versuchen.
Gruß Magda

Annette hat gesagt…

Freut mich, dass dir die genannten Bücher auch gefallen!
Die Krimis sind vielleicht nicht jedermanns Sache, aber ich fand sie amüsant und auch ganz spannend. Erstaunt war ich darüber, dass manche Kommentare von Lesern dem Autor eine rechte bzw. rückwärtige Gesinnung anhängen wollen. Kann ich nicht nachvollziehen, bzw. dann wäre ich ja auch rechts bzw. rückwärtig gesinnt. Das erinnert mich an ein Zitat aus einem anderen Krimi, das sinngemäß lautete: "Die Deutschen haben immer Angst, in irgendeine Ecke gedrängt zu werden, deshalb reden sie nur noch über das Wetter". Ich glaube, das war in einem der Zypern-Krimis von Yanis Kostas. Die sind auch lesenswert.

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