Freitag, 23. Dezember 2022
Das Märchen von den Sternschnuppen
Im Spätsommer haben die kleinen Sternputzer im Himmel immer einen Haufen zu tun, denn sie müssen die Sterne, die von der Hitze blind und vom Regen rostig geworden sind, schön blank reiben, damit sie zu Weihnachten dann wieder so herrlich glänzen.
Die rostigen Sterne werden von den Sternputzern mit einem Hobel bearbeitet, dass die goldenen Späne nur so fliegen. Und dann geht der heilige Petrus mit einem großen Korb herum, in den er die himmlischen Hobelspäne hineinkehrt.
Wenn aber am Ende alle Fixsterne und Planeten geputzt sind, etwa Mitte August und auch später im November, wenn der ganze Rest wieder sauber und die Milchstraße gewaschen ist, dann schleichen sich die kleinen Sternputzerbuben in die Pförtnerstube des heiligen Petrus, nehmen heimlich den Korb mit den goldenen Hobelspänen, laufen hinaus auf den Himmelsbalkon und werfen unter großem Gejuchze eine Handvoll Späne nach der anderen hinunter auf die Erde. Dann staunen die Menschen, und sie rufen: „Die Sternschnuppen kommen!“, und dabei wünschen sie sich im Stillen etwas, denn sie glauben, wenn eine Sternschnuppe vom Himmel fällt, geht ihr Wunsch in Erfüllung. Und das kommt daher, weil vor vielen Jahren einmal einem kleinen Sternputzerlausbub ein Malheur passiert ist.
Es war zur Zeit, als das Christkind, wie jedes Jahr zu Weihnachten, auf die Erde hinabstieg, um die Weihnachtsbäume zu schneiden. Und damit die Menschen es nicht schon an seinem Heiligenschein erkennen sollten, hatte es diesen ganz schnell in die Pförtnerstube des heiligen Petrus geworfen, sich dann die große Leiter geholt und war an der Ecke, wo die Milchstraße von der Rahmgasse abzweigt, eilig auf die Erde hinunter gestiegen zum Christbaumschneiden.
Bald danach schlich sich ein winziger Sternputzerbub in die Pförtnerloge, nahm flink wie ein Wiesel den Korb mit den goldenen Hobelspänen, auf dem obenauf der Heiligenschein des Christkindes lag. Rasch lief er zum großen Himmelsbalkon, um die Hobelspäne nacheinander spielend auf die Erde hinunterzuwerfen, damit die Menschen eine Freude hatten, wenn lauter flimmerndes Gold vom Himmel fiel.
Weil er sich gar nicht Zeit nahm, zu sehen, was er da in der Hand hatte, lachte er nur laut auf, als er merkte, dass er ein großes Stück erwischt hatte, und in weitem Bogen warf er es hinunter auf die Erde. Da freilich, als die goldene Scheibe im Wind hinunterflatterte, wurde dem übermütigen Himmelsbuben bewusst, dass das große Stück der Heiligenschein des Christkindes gewesen war. Wenn das der heilige Petrus erfuhr oder wenn das Christkind nach seinem Heiligenschein fragte, würde es eine fürchterliche Strafe geben. Und Gottvater, der für das Christkind den teuren Heiligenschein hatte machen lassen, was würde er sagen? Er war sonst ein guter Mann, aber schon einmal hatte er einen Engel, der ihm die schwarzen Schwänzchen aus dem Hermelinmantel geschnitten hatte, mit dem Zepter windelweich gehauen. Davor fürchtete sich der kleine Sternputzer, und er wurde kreidebleich, als er den Heiligenschein immer weiter hinunterfliegen sah, bis er am Ende nur noch einen ganz kleinen, goldenen Punkt erkennen konnte, dort, wo der Heiligenschein hinter einem Wald endlich auf den Boden gefallen war.
Doch da am Abend sicher das Christkind vom Baumschneiden zurückkehren und in der Pförtnerstube das himmlische Gewand und den goldenen Heiligenschein suchen würde, war keine Zeit zu verlieren. So stieg der Sternputzerbub hastig die Himmelsleiter hinunter. Als er aber am Fuße ankam, stellte er fest, dass die Leiter gar nicht dort stand, wo der Heiligenschein hinter dem Wald niedergefallen war, sondern ganz woanders. Schnell schlich er sich von der Leiter weg, um ja nicht dem Christkind zu begegnen. Er lief und lief und kam an einen Wald; aber es war nicht der richtige, denn der Heiligenschein war nirgends zu finden. Hinter dem Wald gelangte der Sternputzerbub in ein Dorf, wo ihn die Leute verwundert anschauten, weil er nichts anhatte als ein kurzes Hemd in dieser eisigen Winterkälte.
„Habt ihr nicht einen Heiligenschein gefunden?“
Die Leute lachten über ihn oder schüttelten den Kopf.
Ganz dunkel war es schon, als der kleine Wicht, erbärmlich frierend in seinem kurzen Hemdchen, nur zögernd an ein einsames Haus klopfte.
„Wer ist denn da draußen so spät in der Nacht?“
Der kleine Sternputzer, der oben im Himmel einer von den allerfrechsten war, wagte gar nichts zu sagen, als er einen Mann, groß wie ein Baum, mit einem langen Bart und einem finsteren Gesicht herauskommen sah. Der packte den Buben nur beim Hemdzipfel; doch – o Schreck, der Hemdzipfel riß ab, und nun stand der Sternputzerbub ganz nackend da.
Das erbarmte den Mann, der doch so böse aussah; er nahm das Kerlchen auf die Arme und rief drinnen seiner Frau zu, sie solle für den kleinen Putzel eine Rührmilchsuppe kochen. Und obwohl der Himmelsbub sonst bessere Sachen gewöhnt war, aß er davon eine große Schüssel. Dann schlief er auf dem alten Kanapee ein. Am anderen Morgen, als er weitergehen wollte, gab ihm der wilde Mann, der selber nicht viel zum Anziehen hatte, noch eine alte Joppe. Die solle er als Mantel tragen, damit ihn nicht fröre.
Und wieder wanderte der Sternputzerbub einen ganzen Tag lang von einem Dorf zum anderen. Jeden Menschen, dem er begegnete, fragte er, ob denn niemand einen großen, goldenen Heiligenschein gefunden habe. Aber alle sagten nein. Einige glaubten ihm die Geschichte mit dem Heiligenschein überhaupt nicht und hielten ihn für einen Bettelbuben, der vielleicht nur stehlen wollte. Ein Gendarm nahm ihn sogar fest und sperrte ihn ins Feuerwehrhaus wie einen kleinen Dieb. Der Sternputzerbub weinte bitterlich in dem finsteren, eiskalten Feuerwehrhaus, und seine Tränen, die ihm die Wangen hinunter rollten, froren zu gläsernen Perlen und fielen auf den Boden. Den Gendarm, der ihn so schluchzen hörte, packte das Mitleid, und so ließ er den kleinen Buben am nächsten Morgen wieder laufen und schenkte ihm noch ein großes Stück Brot.
So vergingen viele, viele Tage. Weihnachten stand vor der Tür, und noch immer irrte der kleine Sternputzer über die Erde auf der Suche nach dem Heiligenschein. Einmal nahm ihn ein krankes Mütterchen auf, das sich seiner erbarmte und ihm von dem letzten Leinentuch, das sie hatte, ein Stück für ein Hemdchen abschnitt. Ein anderes Mal gab ihm ein Bettler die Hälfte seines erbettelten Brotes. Längst getraute sich der Sternputzerbub nicht mehr hinauf in den Himmel; sicher hatte nun auch schon der Gottvater erfahren, was mit dem Heiligenschein des Christkindes passiert war.
Doch da geschah das Wunderbare. An einem Abend, als es schon begann, dunkel zu werden, entdeckte der Himmelsbub am Rande eines kleinen Waldes den Heiligenschein im Schnee. Überglücklich nahm er die mächtige, goldene Scheibe in den Arm und lief zum nächsten Dorf, wo er schlafen wollte, um dann am anderen Tage wieder bis an die Himmelsleiter zurückzugehen.
Im Dorf schlief schon alles. – Nur beim Wirt war noch Licht. – Als der Sternputzerbub klopfte, kam der Wirt zornig heraus und sagte dem kleinen Burschen, er solle machen, dass er weiterkomme, denn er habe sicher keinen Pfennig für das Nachtquartier. Der Sternputzerbub antwortete kleinlaut, dass er nichts habe als den Heiligenschein, und den könne er doch nicht hergeben. Der Wirt war ein schlauer Fuchs und dachte, dem kleinen Buben werde er bei nachtschlafener Zeit das große goldene Ding schon stehlen. Deshalb ließ er den Kleinen dableiben. Aber der Sternputzerbub war schlauer. Er legte sich, um seine Kostbarkeit ja nicht zu verlieren, auf den Heiligenschien, so dass es dem Wirt nicht gelang, diesen unter dem schlafenden Buben hervorzuziehen, soviel er auch zerrte und zog. Es gelang ihm nur, mit einer Schere ein kleines Stück aus der großen Goldscheibe herauszuschneiden. Als der kleine Sternputzer am Morgen erwachte und sah, was geschehen war, schrie und weinte er, aber der Wirt gab ihm eine kräftige Ohrfeige, so dass er still und hungrig seines Weges ging.
Nun traute sich der Ärmste aber erst recht nicht mehr zurück in den Himmel mit seinem Heiligenschein, aus dem ein Stück fehlte. Als er so in der Gegend herumirrte, begegnete er dem Gendarmen; er lachte, als er den kleinen Spitzbuben wiedererkannte und ließ die Gendarmenfrau gleich einen Apfelkuchen backen, den er dem hungrigen Bürschlein mitgab. Der Sternputzerbub wollte nicht undankbar sein, und weil der Heiligenschein nun schon einmal angeschnitten war, schnitzelte er mit der Schere noch ein weiteres Stück heraus, das er unbemerkt bei dem Gendarmen liegen ließ.
Er traf den Bettler, der nun nicht einmal mehr ein Stück Brot hatte; schnell gab er ihm von seinem Apfelkuchen und schnitt zudem auch noch etwas vom Heiligenschein ab, damit der arme Mann nicht zu verhungern brauchte. – Dann kehrte der Sternputzerbub bei dem armen, kranken Mütterlein ein, denn er wollte all denen danken, die ihm einmal in seiner Not geholfen hatten. Auch hier ließ er ein Stückchen Heiligenschein zurück.
Als er bei dem wilden Mann ankam, war dieser gerade dabei, seine einzige Kuh zu verkaufen, weil er sonst nichts mehr zum Leben hatte. Darum schnitt der kleinen Sternputzer noch einmal in den Heiligenschein aus purem Gold und setzte dann seinen Weg zur Himmelsleiter fort.
Als er jedoch eben den Fuß der Leiter erreichte und hinaufschaute, sah er das Christkindlein mit einem Korb mit schönen, lustigen Sachen, aber ohne Heiligenschein die Himmelsleiter herunterkommen. Vorwurfsvoll schaute das Christkindl auf den kleinen Sternputzerbuben und den zerschnittenen Heiligenschein in seiner Hand, aus dem vier Stücke fehlten, so dass er wie ein Kreuz aussah, das in einem goldenen Ring stand. – Der Himmelsbub schämte sich sehr, als er den Blick des Christkindls spürte, und erst auf dessen liebevolle Frage, wie es ihm denn unten bei den Menschen ergangen sei, begann er zu erzählen.
Und er erzählte von dem armen Mütterchen, von dem wilden Mann, dem Bettler, von der Güte all dieser Menschen, die ihm Hilfe und Obdach gewährt hatten.
Als das Christkindl von dem kleinen Sternputzer hörte, wie die Menschen trotz ihrer Not ihm geholfen hätten, versprach es, dass von nun an jeder Wunsch erfüllt werden sollte, den ein Mensch hat, der selber gütig ist und den anderen helfen mag. Und seit dieser Zeit schauen die Menschen auf zum Himmel und wünschen sich etwas, wenn sie eine Sternschnuppe herunterfallen sehen.
Aus "Stille Nacht, heilige Nacht" von Tchibo (sehr altes und sehr schönes Heftchen)
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